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Kiebitz droht aus unserer Landschaft zu verschwinden

Nur noch 32 Brutreviere in Wilhelmshaven

Seine aufragende Holle (Federschopf), die grün und purpurn schillernden Flügel und das kontrastreich schwarz-weiße Gefieder machen den Kiebitz unverwechselbar.
Foto: Richard Tank 2021

Der Charaktervogel unserer offenen Marschenlandschaft war hier früher häufig und aufgrund seines auffälligen Aussehens und Verhaltens landläufig bekannt. Vor allem durch die Intensivierung der Landwirtschaft sind seine Bestände massiv zurückgegangen.

So auch in Wilhelmshaven. Mit der Uferschnepfe ist in den vergangenen zehn Jahren bereits eine heimische Wiesenbrüter-Art aus dem Stadtgebiet verschwunden. Soweit darf es beim Kiebitz nicht kommen.

Kiebitze waren ursprünglich vor allem in Mooren und auf Feuchtwiesen finden. Früher war dies eine Allerweltsart und Eiersammeln friesischer Volkssport. Nach wie vor werden in anderen europäischen Ländern mehr als 100.000 Kiebitze pro Jahr erlegt. Heute haben sich Kiebitze gewissermaßen an den Menschen und den damit einhergehenden Flächenverlust angepasst und brüten auch auf Weiden, Äckern und Brachen.

An ihrem Brutplatz kann man Kiebitze derzeit bei akrobatischen Balzmanövern beobachten. Dabei drehen sie Schleifen, stürzen sich taumelnd gen Boden und rufen weit hörbar ihr markantes „kiewiet“ – wie die Vogelart auf Plattdeutsch heißt. Die ersten Paare beginnen bereits in der zweiten Märzhälfte mit der Eiablage. Das Nest mit vier Eiern wird in einer Bodenmulde angelegt und von beiden Partnern über vier Wochen bebrütet. Die Küken sind Nestflüchter und werden von beiden Eltern noch über einen Monat bei der Nahrungssuche begleitet, bis sie flügge sind. Kiebitze ernähren sich vor allem von Insekten.

Kein anderer Brutvogel Deutschlands ist im Bestand so stark eingebrochen wie der Kiebitz: zwischen 1980 und 2016 um dramatische 93 Prozent. Aus vielen Regionen Deutschlands ist der Kiebitz inzwischen ganz verschwunden, mit etwa 40 Prozent des Brutvorkommens bildet Niedersachsen einen Verbreitungsschwerpunkt. Doch selbst hier ist der Erhaltungszustand der Brutvogel-Art als ungünstig bewertet. Der Kiebitz gehört zu den sieben Vogelarten, für deren Erhaltung Deutschland aus globaler Perspektive eine besondere Verantwortlichkeit zugemessen wird. In der Roten Liste der Brutvögel ist er für Niedersachsen als gefährdet und für Deutschland sogar als stark gefährdet eingestuft. Der Schutz der Art hat daher nicht nur in Niedersachsen höchste Priorität.

Um ein möglichst umfassendes und aktuelles Bild über Brutbestand und Verbreitung zu erhalten, hatten die Niedersächsische Ornithologische Vereinigung e. V. und die Staatliche Vogelschutzwarte im NLWKN im Frühjahr 2020 eine landesweite Erfassung initiiert. 12 Wilhelmshavener beteiligten sich an dieser Brutvogelkartierung, lokal koordiniert vom Naturschutzbund Deutschland (NABU). Die Auswertung ergab lediglich 32 Kiebitz-Reviere für Wilhelmshaven, obwohl alle Offenland-Flächen abgesucht wurden. „Das ist erschreckend wenig“, resümiert Florian Carius, Koordinator des Wilhelmshavener Orni-Netzwerks, die nüchterne Bilanz mit Blick auf das Flächenpotenzial im über 100 Quadratkilometer großen Stadtgebiet.

Die Ursachen für den Bestandseinbruch beim Kiebitz sind bekannt: Sein angestammter Lebensraum ist mittlerweile intensiv landwirtschaftlich genutzt. Die Entwässerung der Moore und Feuchtwiesen erhöht nicht zuletzt den Prädationsdruck auf Küken durch Füchse oder streunende Hauskatzen. Grünland wurde in Acker umgebrochen für schnell wachsende Kulturen oder bebaut. Frühere Mahd, häufigere mechanische Bearbeitung der Flächen mit breiteren und schnelleren Maschinen in kürzeren Zeitintervallen sowie höherer Viehbesatz führen zu Gelegeverlusten oder Lebensgefahr für die Küken. Ausweichbrutplätze fehlen und die Vegetation auf gedüngten Wiesen und Äckern wächst so schnell hoch, dass im fortgeschrittenen Frühjahr keine Ersatzgelege mehr möglich sind. Der Biozideinsatz fördert das Insektensterben und den Nahrungsmangel. Die Zerschneidung von Lebensräumen durch das Straßennetz erhöht das Unfallrisiko für Küken, da Nist- und Aufzuchtreviere nicht immer identisch sind. Auch unsere Freizeitnutzung konkurriert um Grünflächen und freilaufende Hunde können alle bodenbrütenden Vögel gefährden.

Der Kiebitz ist Indikator für Artenvielfalt und Landschaftsqualität im Rahmen der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, was den Handlungsbedarf in der Agrarlandschaft unterstreicht. „Der Kiebitz braucht Unterstützung aus der Landwirtschaft, weshalb wir uns auf intensivere Zusammenarbeit auf dem ‚Niedersächsischen Weg‘ freuen“, so Klaus Börgmann, Vorsitzender des NABU Wilhelmshaven. „Diese neue Kooperation zwischen Behörden und Verbänden zu Naturschutz in der Landwirtschaft muss nun mit Leben gefüllt werden.“

Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) hat bereits konkrete Handlungsempfehlungen für Schutzmaßnahmen in der Agrarlandschaft im „Praxishandbuch Kiebitzschutz“ zusammengestellt. Einen Überblick bietet auch das gemeinsam mit dem Deutschen Bauernverband (DBV) herausgegebene Faltblatt „Landwirtschaft für den Kiebitz“. Weitere Informationen auch zu Fördermöglichkeiten und der Nestfinder-App bietet die Internet-Plattform www.lapwingconservation.org.

Es hilft bereits, kleinere Feuchtflächen auf Ackerflächen nicht zu bearbeiten, wo Kiebitze Nahrung finden und die Landwirtschaft ohnehin eingeschränkt ist. Kiebitzinseln als kurzzeitige Brachen sind im Ackerland die effektivste Maßnahme, um Kiebitzen und weiteren bedrohten Vogelarten eine erfolgreiche Brut zu ermöglichen. Auch die Markierung der Nester trägt dazu bei, die Vögel bei der Feldbearbeitung erfolgreich zu umfahren. Wichtig bleibt zudem, Feuchtgrünland zu erhalten und wiederherzustellen sowie Sommergetreide naturverträglich anzubauen.

Wilhelmshaven ist Mitglied im bundesweiten Bündnis von mittlerweile 279 „Kommunen für biologische Vielfalt“. Das Bündnis stärkt die Bedeutung von Natur im unmittelbaren Lebensumfeld der Menschen und rückt den Schutz der biologischen Vielfalt in den Kommunen in den Blickpunkt. Alle Verbraucher können einen Beitrag zum Erhalt des Kiebitzes und anderer bedrohter Brutvögel unserer Agrarlandschaft leisten, indem sie beim Kauf von Lebensmitteln auf Bio-Siegel achten, da diese unter lebensfreundlicheren Bedingungen erzeugt wurden. In der freien Landschaft sind Halter gesetzlich verpflichtet dafür zu sorgen, dass ihre Hunde zu keiner Zeit streunen oder wildern und während der allgemeinen Brut-, Setz- und Aufzuchtzeit vom 1. April bis zum 15. Juli an der Leine geführt werden. Für die Beobachtung von Kiebitzen in Wilhelmshaven empfiehlt sich ein Fahrradausflug in den Heppenser Groden, wo an den feuchten Wiesen südöstlich der Alfred-Eckhardt-Straße 2020 drei Paare brüteten.

Auf NABU.de (https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/portraets/kiebitz/) lässt sich der Kiebitzruf anhören.